REDE AN DER ECOLE POLYTECHNIQUE IN PARIS
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Studenten,
Ich werde meine Auslegung mit einer kurzen Standpauke einleiten: Die Republik gehört Ihnen nicht.
Sie haben zum ersten Mal eine Ihrer Konferenzen für das nicht studentische Publikum unzugänglich gemacht, aus Furcht vor dem Auftauchen von Gelbwesten an einem Ort, den Sie als den Ihren betrachten. Das macht ein schwerwiegendes Symptom einer Spaltung sichtbar, welches die Ursache des revolutionären Prozesses ist, der vor einem Jahr, von den Trägern der Weste, die ich in meiner Rechten halte, gegen die Träger des LBDs[1] die ich in meiner Linken halte, in Gang gesetzt wurde.
Indem Sie sich so handeln, verhalten Sie als perfekte Erben einer Gesellschaftsordnung, die sich die Instrumente einer anderen Revolution, nämlich der von 1789, angeeignet hat, um ihren eigenen Interessen zu dienen. Einer Gesellschaftsordnung, die die angeblich meritokratischen Instrumente fehlgeleitet hat, um sie ihren eigenen Nachfolgern vorzubehalten, indem sie die von der Gemeinschaft zur Verfügung stehenden Ressourcen und Privilegien an sich gerissen hat.
Sie kommen, Sie direkt vor mir, in dieser Schule, die eigentlich jedes Kind der Republik, das Talent aufweist aufnehmen müsste, zu nur 3 % aus den unteren Schichten der Gesellschaft. 1 % der Kinder kommen aus der Arbeiterklasse, 2,2 % sind Kinder von Angestellten und 0 % von Arbeitslosen, obwohl diese Gesellschaftsgruppen mehr als 60 % der französischen Bevölkerung ausmachen.
Diese Zahlen sind innerhalb der renommiertesten Hochschulen der Republik, ob es sich dabei um die Ecole Normale Supérieure, die ENA oder gar die HEC handelt, identisch. Sie decken eine bittere, offensichtliche und schicksalshafte Tatsache auf: Der größte Teil der Bevölkerung bleibt von den « Eliten der Republik » und ihren bedeutendsten Institutionen ausgeschlossen, obwohl sich eben diese Eliten Gleichheit und Brüderlichkeit auf ihre Fahne geschrieben haben.
Indem Sie ihnen den Zugang zu dieser Konferenz, auch noch als Zuschauer verwehren, beteiligen Sie sich an einer natürlich gewordenen Ausgrenzung, für die Sie bis zu diesem Moment noch nicht verantwortlich waren, die es mir aber erlauben wird, Sie als Teil dieser zerstörerischen Gesellschaftsordnung anzusprechen. Einer Gesellschaftsordnung, die seit einem Jahr am Taumeln ist, die seit einem Jahr mehr als einmal ins Wanken geraten ist. Und ich hiermit dazu aufrufe, sie zu Fall zu bringen.
Das Thema dieser Rede ist das Werden der Eliten. Und ich möchte mit einer Klarstellung beginnen. Nämlich jener, dass ich nicht die Elite der Nation vor mir habe, sondern eine Ansammlung von Erben, welche zu diesem Zeitpunkt noch nichts anderes bewiesen haben, als ihre Fähigkeit, sich von der Masse vergleichbarer Erben, mit denen sie eine Klasse bilden, abzuheben. 81% von Ihnen sind Söhne oder Töchter von höheren Führungskräften und weitere fast zehn Prozent mehr von Geschäftsführern.
Sie kommen zu gleichen Teilen aus nur zehn Gymnasien, die sich ihrerseits durch eine erschreckende Neigung zum sozialen Determinismus auszeichnen. Von den 761 Vorbereitungsklassen in Frankreich wurden 80% von Ihnen aus einem dermassen begrenzten Pool selektioniert, dass er jeglichen Anspruch auf Universalität und auf meritokratische Reden, mit denen man Sie jedoch fortwährend belegt, entkräftet.
Es sei denn, Sie seien tatsächlich der Meinung, dass ein Arbeiterkind strukturell bedingt zwischen dreißig bis fünfzig Mal weniger intelligent ist, als ein Kind einer leitenden Führungskraft, so sind Sie in diesem Moment nur die hervorragendsten Vertreter einer Kaste, die selbst degeneriert ist.
Und dennoch garantiert Ihnen diese Position, morgen zu den Führungskräften unseres Systems zu werden und somit Entscheidungen zu treffen, die unsere gesamte Gesellschaft verpflichten werden, sowie verantwortungsvolle Stellungen an sich zu reißen. Beinahe ein Drittel der Chefs der CAC40-Unternehmen haben bereits diese Schulbänke poliert, während beinahe alle Führungskräfte der SBF120 eine der vier von mir erwähnten Hochschulen durchlaufen haben. Ganz zu schweigen von den Hauptdirektoren wirtschaftlich ausgerichteter Verwaltungsbehörden, Direktoren großer Finanzinstitute, Kabinettsmitgliedern und so weiter.
Diese absurde Monopolisierung des Entscheidungsraums beruht auf einer Lüge: der Annahme, Sie seien aufgrund Ihres Talents, in einem Rahmen, der jedem die gleiche Chance gibt und es jeder Kohorte ermöglicht, die klügsten Köpfe einer Generation hervorzubringen ausgewählt worden. Dieser Diskurs – dem durch den Initiationsritus der Vorbereitungsklasse seine ganze Glaubwürdigkeit verleiht wird – kombiniert mit jenem über die angeblichen Opfer, die Sie auf sich genommen hätten, um diesen Status zu erreichen, wird ihnen bereits von Kindheit an eingetrichtert und legitimiert Ihren Zugang zu einem exorbitanten sozialen Status, der Ihnen mit kaum über zwanzig Jahre zugesprochen wird.
Die Glaubenshaltung an diesen Diskurs wurde schon oft angeprangert. Und seit Pierre Bourdieu und andere sie aufgegriffen haben, zunächst mit Bravour und anschließend mit grosser Sorgfalt dekonstruiert. Das Fortbestehen der Auswirkungen, dieses irrationalen Glaubens, den dieser Denkansatz entstehen lässt, ist jedoch so groß, dass sie noch vor einem Jahr einen gewissen Laurent Alexandre, den Sie mit kräftigem Applaus honorierten, dazu veranlasste, in diesem Hörsaal eine Rede mit dem nüchternen Titel « die Götter und die Nutzlosen » zu halten. Eine Rede, in der er die Menschen, die in der von den Herrschenden dieser Gesellschaft geschaffenen sozialen Immobilitätsfalle gefangen sind, als Unterbegabte und Nutzlose qualifizierte. Und im selben Moment qualifizierte er Sie als goldene Früchte, als Götter, die sich einer historischen Verantwortung gegenübersehen, die die Ersteren dahinraffen und die Letzteren weihen wird.
Dieser Diskurs hat vor allem politische Auswirkungen von solcher Gewalt hervorgerufen, dass er heute unsere gesamte Gesellschaft mit einem Zusammenbuch droht.
Lassen Sie uns diesen Sachverhalt wieder richtigstellen, den der Denkansatz, der sich der Klassenstrategien annimmt, welche Sie in Ihre Position gebracht haben, verzerrt haben mag: Ihre Position an diesem Ort ist das Resultat eines soziologischen Determinismus, der Sie als Individuum nur indirekt aufgrund von Fähigkeiten geweiht hat, die der äusserst begünstigende Kontext, in den Sie hineingeboren wurden, Ihnen zu entwickeln ermöglicht hat.
Sie hatten folglich keinerlei Anrecht darauf, diesen Ort zu verschliessen.
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Der Zugang zu dieser Schule, der Ihnen die Republik und durch sie Millionen von Mitbürger, die gearbeitet, Sozialabgaben und Steuern bezahlt haben, um sie zu finanzieren, ermöglicht hat, hat Ihnen darüber hinaus noch eine ganze Reihe unschätzbarer Privilegien verschafft. Nämlich solche, die Lebenslaufbahnen dauerhaft determinieren und die Schlüssel dazu bieten, das Schicksal der Gemeinschaft zu beeinflussen. Sie können Ihnen den Eindruck vermitteln, dass sie – hier wieder – « verdient » wären, mit anderen Worten, ein Rechtsanspruch, den Sie nach Belieben geltend machen könnten. Dabei lege ich Wert darauf Ihnen noch einmal in Erinnerung zu rufen: Der Staat ist nicht Ihr Mittel. Er ist jenes des Gemeinwohls. Dabei sind Sie nur seine Hilfsmittel, dazu beauftragt, die erforderlichen Voraussetzungen für seine Zielsetzungen zu schaffen.
Aus diesem alleinigen Grund haben Sie Zugang zu Privilegien, zuerst einmal den Zugang zu außerordentlichen öffentlichen Ressourcen – Sie werden, daran sei erinnert und im Gegensatz zu beinahe der gesamten französischen Studentenschaft, vom Staat für Ihr Studium bezahlt. Obwohl Sie den privilegiertesten Gesellschaftsgruppen angehören, nachdem ein großer Teil von Ihnen bereits Privatschulen oder institutionell privilegierte Einrichtungen besucht hat und durch diesen diskriminierenden Bildungsweg, der die Sekundar- und Hochschulbildung betrifft, die soziale Segregation verstärkt wird wodurch Ihre weniger privilegierten Klassenkameraden daran gehindert werden, sich ihrerseits zu emanzipieren.
Ein Privileg, das Ihnen den Zugang zu einem weiteren Privileg verschafft. Nämlich dem, durch die renommiertesten Professoren ausgebildet zu werden, in Bildungseinrichtungen, die über Budgets verfügen, die von jenen der Universitäten getrennt und natürlich bedeutend grösser sind.
Ein Privileg, das für einige von Ihnen später noch verlängert wird, wenn Sie in die fachspezifischen Körperschaften aufsteigen. Was bedeutet in ein aristokratisches Amt, das Ihnen, aufgrund einer selektierten Auswahl, die an der Schwelle zu Ihrer Volljährigkeit stattgefunden hat, ermöglichen wird, lebenslänglich vor finanzieller Not geschützt zu sein. Den anderen, weniger ehrgeizigen oder weniger dotierten, wird durch die Verleihung eines Diploms eine soziale Stellung zugesprochen, die zu ausserordentlichen Einkünften führen wird. Mit anderen Worten: Sie werden niemals mit Arbeitslosigkeit und Prekarität konfrontiert sein. Mit dem Elend. Der Ausgrenzung und Verlassenheit. Alles, was ein Gefühl der Andersartigkeit hervorruft, ermöglicht es, die Selbstverständlichkeit von Geburt an festgelegte Pfade zu durchbrechen und ein Gefühl der Besorgnis hervorzurufen, dass Sie dazu bewegen könnte, sich für die Gesellschaftsschicht der Menschen mit prekären Lebensbedingungen zu öffnen, anstelle ihnen die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
Aber dazu kommen auch noch immaterielle Privilegien jener Art, deren Entstehung letztendlich zur Spezialität solcher « Schulen » geworden ist, die zugunsten aufeinander bezogener, sozialer Interaktionen mehr und mehr die Ansprüche aufopfern. Die Ecole Polytechnique verschafft Ihnen Zugang zum wertvollsten Sesam-öffne-dich überhaupt: Dem symbolischen Kapital, das Ihnen abgesehen von der Garantie eines sozialen Umfeldes, welches seinerseits wiederum einkommensabhängig ist, Ihnen auch eine natürliche Autoritätsposition verschafft, die einige unter Ihnen schon bald für unaussprechliche Verwendungszwecke nutzen würden.
Ein Privileg, das den Hemmungslosesten unter Ihnen eine Lizenz zur Betrügerei, Korruption und Pantouflage[2] offeriert. Eine Straffreiheitskarte, von der man ununterbrochen Gebrauch machen kann.
Auf diese Weise können Sie, wie Anne Lauvergeon, eine ENS-Cousine, die allerdings wie es einige von Ihnen tun werden, in den Corps de Mines aufgestiegen ist, ein öffentliches Unternehmen zerstören, 2,8 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern im Rahmen einer Kickback-Affäre, – der UraMin-Affäre – verschwinden lassen, die Entlassung von mehr als 2000 Menschen verursachen, die Atomindustrie Ihres Landes verwüsten, Ihren Mann in eine Angelegenheit missbräuchlich verwendeter Gesellschaftsvermögen verwickeln und sich gleich darauf, ohne sich dabei jemals wirklich Sorgen machen zu müssen in den Vorstand von ENGIE berufen lassen.
Sie können aber auch wie Bernard Arnault eine Steuernachzahlung von über einer Milliarde Euro einbüssen, ohne jemals befürchten zu müssen, dass das Gefängnis eines Tages auch Sie betreffen könnte.
Sie haben die Möglichkeit sich in Höhe von zweistelligen Milliardenbeträgen zu verschulden, ich denke hier an Patrick Drahi, dutzende Unternehmen aufkaufen, mit dem Ziel sie umzustrukturieren – mit anderen Worten um Entlassungen einzuleiten – und ein wahnwitziges Cost-killing betreiben, das Ihre Margen erhöht – zu Schaden des Unternehmens –, um die Banker, die Sie dabei unterstützt haben zurückzuvergüten – ohne jemals Rechenschaft über Ihr fehlendes Startkapital, die langfristigen Folgen Ihrer Entscheidungen und die katastrophalen Auswirkungen dieser sogenannten Optimierungen ablegen zu müssen.
Sie können, wie Jean Marie Messier die Netzwerke nutzen, die Ihnen die Republik zur Verfügung gestellt hat, um an die Spitze eines der wichtigsten französischen Unternehmen gesetzt zu werden, als Dank für Ihre Beteiligung an der massenhaften Privatisierung von Staatseigentum –, den amerikanischen Traum leben, indem Sie das Unternehmen massiv verschulden. Große Studios, Fernsehsender, aber auch Apartments in New York für 20 Millionen Dollar und Privatjets zu Ihrer alleinigen Nutzung aufkaufen, sowie innerhalb eines Jahres Verluste von 19 Milliarden Euro verursachen – ein Rekord, der Ihnen zwar die Ersetzung durch ein Studienkolleg kosten wird, Ihnen aber auch dennoch mehreren Dutzend Millionen Euro Entschädigung einbringen wird, die Ihnen auch gewiss eine Verurteilung wegen missbräuchlich verwendeter Gesellschaftsvermögen mit sich bringen wird, jedoch ohne Sie deswegen davon abzuhalten, Ihre Investmentbank zu gründen und Ihre Netzwerke von neuem in Millionenhöhe zu monetarisieren.
Sie können aber auch wie Carlos Goshn Versailles auf Kosten eines Unternehmens, das gerade von der öffentlichen Hand gerettet wurde, mieten, um Ihren Geburtstag zu feiern. Oder wie Patrick Kron ganz Paris korrumpieren, um einer rivalisierenden Macht, den USA, eine der wertvollsten industriellen Einrichtungen des Landes zu offerieren. Wie Noël Forgeard wegen Insiderhandels verurteilt werden, ohne dadurch in weitere Schwierigkeiten zu geraten, nachdem Sie die industriellen Notlagen, die Sie innerhalb von Airbus verursacht haben, ausgenutzt haben, um zu spekulieren und wie Didier Lombard Dutzende von Angestellten in den Suizid zu treiben und sich darüber hinaus noch zu freuen. Oder wie Serge Dassault beim Kauf von Wählerstimmen gefilmt werden; – ohne dass Sie sich selbst zu irgendeinem Zeitpunkt wirklich Sorgen machen müssen. Sie können, wie Gérard Araud, zu einem Schlüsselglied eines Kriegs werden, der das Mittelmeer verwüsten und den Tod von Zehntausenden Menschen herbeiführen wird, und dennoch befördert werden.
Sie werden unter allen Umständen eine Gewissheit haben: Jene, innerhalb des Petit-Paris und des Staates – im weitesten Sinne des Wortes – ein Kapital zu bewahren, das Ihnen ein komfortables Leben ermöglicht, ohne jemals mit den Konsequenzen Ihres Handelns konfrontiert zu werden.
All das, weil Sie mit 20 Jahren eine Eintrittsprüfung bestanden haben, anhand derer es Ihnen gelungen ist, einen Raum zu betreten, der einst dazu bestimmt war, der Republik zu dienen und ihr die noch fehlenden Kader zu verschaffen und der heute von einer Klasse für ihre alleinigen Interessen missbraucht wird.
Die Republik geht an ihrer Korruption zugrunde, an einer endogamen Aneignung, für die Sie nicht verantwortlich sind, deren Pfad Sie aber bereits auf natürliche Weise einschlagen haben, aus Furcht, bereits mit nur 20 Jahren, mit den Unterdrücktesten der Gesellschaft konfrontiert zu werden, die von 70% des Landes unterstützt werden und dennoch von diesem heiligen Ort, dem Sie angehören, ferngehalten werden.
Nein, die Republik gehört Ihnen nicht. Vielmehr sind Sie es, die ihr gehören und es gibt auch keinerlei Grund, sich vor ihr fürchten zu müssen. Sie ist es, die Ihnen eine einzigartige Gelegenheit geschenkt hat, sich durch Wissen und Denken zu emanzipieren, Fähigkeiten zu entfalten, die andernfalls unterdrückt worden wären, indem sie Ihnen den Luxus der Zeit und die ausreichenden Mittel zur Verfügung gestellt hat, um sich entfalten, um letztendlich zu Dienern nicht etwa einer Elite, sondern des Volkes zu werden, das Sie berufen hat, indem es den Mächten von einst, die Sie von Geburt an unterjocht hielten, ihre Freiheit entrissen hat. Dabei versuchen Sie genau dieses Volk, das durch seinen Aufstand im Jahr 1789 Ihnen die Möglichkeit eröffnete, durch Denken herauszuragen, zu verdrängen. Dieses Volk, das durch die Versorgung genau derselben, die sie eigentlich verteidigen sollten, sie aber von sich fernhielten, zeigt sich heute bereit, mit dem Gabelstapler[3] die Tür der Ministerien einzubrechen, um seinen Dienern in Erinnerung zu rufen, dass diese Einrichtungen allein dazu, aus ihren eigenen Mitteln finanziert und errichtet wurden, um es vor den Aristokraten zu schützen, und nicht zur Wiederherstellung einer Aristokratie, die es sich leisten könnte, sie zu verachten.
Sie täten daher gut daran, diesem Volk zuzuhören.
Dabei scheint die Republik, wortwörtlich « die öffentliche Sache », jedoch vergessen zu haben, dass sie geschaffen wurde, um zu dienen und nicht, um neue Hausherren zu bescheren, die innerhalb einer sozialen Klasse ausgewählt werden und das Privileg haben, die Früchte der Republik unter sich aufzuteilen. Demzufolge spricht man an der Spitze des Staates von denen, die nichts Bedeutendes sind, und hier, in diesem Schmelztiegel der Dienstboten einer Revolution von den Nutzlosen, die es zu dressieren gilt. Und so werden, früher den Kolonien vorbehalte Methoden angewandt, um dieses Volk zu zähmen, das trotz der überwiegenden Unterstützung unter den Schweigenden, den Fehler begehen würde, sich zu erheben und dem man bereit ist, Augen auszustechen, um es zum Verstummen zu bringen.
Innerhalb der gesamten sogenannten « Eliteeinrichtungen » ist der Anteil der Kinder aus der Unterschicht in den letzten 50 Jahren von 30 auf 6 Prozent gesunken. Die Nationalversammlung steht dem in nichts nach: Dort findet man nur noch 1% Arbeiterkinder und 4% Kinder von Angestellten. Eine Nationalversammlung, die nur eine Funktion zu erfüllen hat: Die Gesellschaft, ohne Kompetenz- oder Qualitätskriterien in ihrer Vielfalt zu repräsentieren.
Dies hat eine Systemkrise ausgelöst, welche die Gelbwesten dazu veranlasst hat, die repräsentative « Demokratie », wie sie derzeit eingerichtet ist, in Frage zu stellen. Demzufolge sehen sich die Bürger heute nur noch als Inhaber eines einzigen Rechts: Jenem, aus einem Panel, dessen vorausgehende Auswahl ihnen vorenthalten wird, diejenigen auszuwählen, die in ihrem Namen entscheiden und das Wort ergreifen werden.
Als liberale und bürgerliche Demokratie, die aus der Revolution hervorgegangen ist, desaktiviert unser derzeitiges politisches System die politische Macht der Bürger und reduziert sie auf eine Konsumentenrolle, zugunsten einer Gesellschaftsschicht, die in erster Instanz dazu geschaffen wurde, um zwischen den Regierungsgewalten und der Gesellschaft zu vermitteln. Wobei ihr eine Reihe von Privilegien gewährt wurde – darunter die Errichtung dieser Schule, der Sie beigetreten sind –, die Generation für Generation fehlgeleitet wurde, um ihren eigenen Interessen zu dienen. Was zu einer Arroganz und einer Verachtungshaltung führte, die sich seit dem 17. November 2018 in ihrer ganzen Pracht, einschließlich in diesen Räumen hier, entfaltet.
Das Vergessen der Ursprünge seines gesellschaftlichen Stellenwerts, seine Leugnung, ist ein natürlicher Vorgang. Der Versuch, sie auf Kosten der Beweggründe, die uns hervorgebracht haben, aufrechtzuerhalten, ebenfalls. Die Richtigstellung dieses Sachverhalts ist infolgedessen eine zwingende und systemrelevante Notwendigkeit. Die Gelbwesten, die versuchten, eine politische Umwälzung in Gang zu setzen, die unseren politischen Raum für eine direkte Demokratie öffnen sowie Referenden aus Bürgerinitiativen, imperative und widerrufliche Mandate umfassen würde, haben lediglich den Lauf der Geschichte vorangetrieben. Wobei dies bei denjenigen Verblüffung und Verachtung hervorrief, die durch diese potenzielle Umwälzung ihre eigene Position in Gefahr sahen.
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Erstaunliches Paradox, dass man diese Abfälligkeiten hier, in einem Raum, der sich a priori nicht in Gefahr befindet, zu Gehör bekommt, wenn man davon ausgeht, dass das parasitäre Werden der Institution, dass die letzten Jahrzehnte in ihre Seele verankert zu haben scheint, keineswegs etwas mit ihren ontologischen Ursprüngen zu tun hat.
Erstaunliches Paradox, dass man so sehr vergessen konnte, wem diese Institution verpflichtet war und worin ihre bescheidene und wesentliche Rolle bestand: Die des Dienens. Und zwar: Genau jenen, die Sie ins Amt gewählt haben, mit Bescheidenheit zu dienen.
Erstaunliches Paradox, das wir ergründen müssen. Das Bildungssystem, so wie es in seiner heutigen Form existiert, führt dazu, dass die Absolventen der Institutionen, von denen wir hier reden, aus einem extrem einheitlichen, reduzierten Pool selektioniert werden. Was unweigerlich zu unübersehbaren Langzeitauswirkungen führt: Wachsende Mittelmässigkeit der Kohorten aufgrund der fehlenden realen Konkurrenzverhältnisse mit der Gesamtheit der Gesellschaft und der Reduktion des Wettbewerbs auf Individuen mit sich annähernden Profilen; unterschwellige Schwäche, außerhalb des Rahmens zu denken, was im Zusammenhang mit dem Mangel an Konfrontation mit anderen Sichtweisen, durchmischten Lebenserfahrungen, aber auch ganz einfach der fehlenden Verbindung zur übrigen Gesellschaft steht. Was zu einem fehlenden Bewusstsein, Dinge zu hinterfragen, der Entstehung von korporativen Verhaltensmustern und Klassensolidarität und einer Endogamie, die zu Komplizenschaft und Korruption verleiten, führen.
Glauben Sie vor allem nicht, dass diese Elemente, die ich Ihnen soeben dargelegt habe, anekdotisch sind. Die Folgeschäden lassen sich in Milliarden und Menschenleben berechnen. Die Republik stürzt über ihr eigenes Staatsoberhaupt. Sein Zerfall, den die Gelbwesten festgestellt haben, ist die Frucht einer zerstörerischen Dekadenz, die aus diesen Prozeduren hervorgegangen ist und welche die gesamte Bevölkerung dazu bringt, die wachsende Last der Fehler ihrer Führungskräfte zu tragen. Worunter die katastrophale Verwaltung des Atomparks nur eines von vielen signifikanten Beispielen ausmacht.
Diesem Zusammenbruch folgte und führte wahrscheinlich auch – in einer klassischen kolonialen Logik – zu unserer Einverleibung auf internationaler Ebene innerhalb dritter Wirtschaftsräume, die von gefestigteren und gefräßigeren Eliten regiert wird, die es sich zu Eigen gemacht haben, uns zu plündern und auszubeuten, indem sie den durch den Zerfall unserer Führungskräfte, die sich ihrerseits bereits vollkommen mit unserer Zersetzung arrangiert haben, eröffnenden Vorteil zu Nutze machten. Auf dieselbe Weise, wie die Französische Republik ihr Vermögen durch Korrumpierung, Bestechung und das Verderben lokaler Potentaten in den Kolonien erworben hatte, in denen sie ihre Überschüsse ausbreitete, ist Frankreich zu einem Land des Raubbaus geworden, in dem sich die Besitzergreifungen, deren Hauptvektoren unsere Führungskräfte geworden sind, sich gegenseitig ablösen.
Die Alstom-Affäre, nach Alcaltel Lucent, Technip, Arcelor, Pechiney und Thomson, sind nur Auswüchse einer tiefgreifenden Wucherung, Frucht der viel weitreichenderen und prägenderen Kompromittierungen, die sich innerhalb unseres politischen und wirtschaftlichen Raumes, zugunsten des US-amerikanischen Imperiums entfalten, die sich durch unsere blinde und zunehmend gedankenlose Beteiligung an der deutsch-französischen Allianz und der daraus resultierenden Währungspolitik nur noch weiter verankert hat, und die auf den Funktionsmodus der Selektionsverfahren, Ausbildung und Kontrolle unserer betreffenden Eliten zurückzuführen ist.
Das « Entre-soi » begünstigt die Kompromissbereitschaft und es besteht daher kein Zufall, dass sich die Ecole Polytechnique in den letzten Jahren weit weniger durch das Hervorbringen großer Industrieführer – die Zeiten der Schlumberger, Citroën oder Jean-Louis Beffa liegen bereits weit zurück – beziehungsweise durch die Ausbildung von Wissenschaftlern – wie etwa dem berühmten Henri Poincaré, der uns vielleicht gerade in diesem Moment zuhört – auszeichnete, als durch die Aufstiegsrampen, die es einer Vielzahl ihrer Absolventen ermöglichten, vom Zugang zu den öffentlichen Ressourcen und von den durch die Schule sich darbietenden Netzwerke der Republik zu profitieren, um einen privaten Reichtum, fernab jeglicher Beziehung zur Allgemeinheit und in den meisten Fällen auf Kosten der Allgemeinheit zu entfalten.
Auf diese Weise stützte sich Bernard Arnault anhand einer komplexen Korruptionsstruktur, die er mit Hilfe von Antoine Bernheim ausgearbeitet hatte, auf dem Zugang öffentlicher Ressourcen ab, die ihm gewisse Institutionskameraden verschafft hatten. Dadurch erzwang er die Unterstützung einer Regierung, der er im Gegenzug helfen würde, aber auch die Hilfe des Crédit Lyonnais und die Gewährung erheblicher staatlicher Subventionen, um durch Lügerei, Korrumpierung und Manipulation den Boussac-Konzern auf Kosten seiner Arbeitnehmer und ganzer Regionen des Landes, darunter den Vogesen, zu übernehmen, zu zerstückeln und zu Grunde zu richten, um den einzigen Wert, den ihn interessierte zu extrahieren, sodass er innerhalb von zwanzig Jahren ein derart immenses Vermögen erwirtschaftete, dass er 2013 versuchen würde, ins Steuerexil zu gehen, wobei er dank der Spekulationsblase im Zusammenhang mit der Währungspolitik und der ungleichen Globalisierung, der sich Frankreich nicht zu entreißen vermochte, innerhalb von drei Jahren einen Gewinn von geschätzten 30 Milliarden Euro verdreifachen und in diesem Jahr 100 Milliarden Euro erreichen würde. Dadurch entstand zwischen ihm und irgendeinem Millionär eine grössere Schere, als zwischen einem Franzosen und einem hungernden Zentralafrikaner, während sich zu keinem Zeitpunkt irgendein Politiker dazu bereit zeigte, dieses Geld von ihm wieder einzufordern.
Und so schafft es auch Patrick Drahi, der sich auf ähnliche Hilfsmittel abstützt, ebenfalls ohne Kapital und nennenswerte Errungenschaften, die Hand auf die SFR-Gruppe zu legen, auf Kosten von 5000 entlassenen Mitarbeitern, im Rahmen einer von Emmanuel Macron genehmigten Transaktion als Gegenleistung für seine Kontrollübernahme von Libération, L’Express, BFM TV und RMC und den damit zusammenhängenden Dienstleistungen, die man sich leicht erahnen kann. Und so wurde Bernard Mourad, der selbst ein Freund von Macron ist, zu seinem Berater, nachdem er Generaldirektor der gesamten Mediensparte von Herrn Drahi gewesen war, ehe die Leitung der Bank of America Paris dessen zu übernehmen, dem soeben das Mandat für die Privatisierung der Pariser Flughäfen zugeteilt worden war.
Es gibt aber auch diskretere und dennoch nicht weniger spektakuläre Lebensläufe von Hunderten von Nachkommen dieser Institutionen, die es nicht nur verstanden haben, ein Vermögen zu machen, sondern auch dafür sorgten, ihre Sprösslinge in gleichartigen Einrichtungen unterzubringen, welche morgen ihre Herrschaft legitimieren würden.
Ist jetzt die Zeit gekommen, die entscheidende Rolle welche diese Institutionen spielen, – wie jene, über die wir heute sprechen, – bei der Entstehung dieser Aneignungsphänomene, bei denen der Staat für die Interessen einiger instrumentalisiert wird, zu hinterfragen?
Ist es nun der richtige Zeitpunkt, zu hinterfragen, welche Auswirkungen all dies auf die Demokratie hat, zumal dieselben Individuen, nachdem sie sich bedient haben, seit nunmehr 20 Jahren beschlossen haben, ihre Machtposition durch den Aufkauf von Medien zu festigen, – lauter Mittel zur Einflussnahme, die ihnen den Zugang zu staatlichen Ressourcen gewährleisten, aufgrund des Machtpotentials, das sie ihnen gegenüber Politikern verschaffen, die in einem vorgeblich demokratischen Raum von der ihnen gewährten Visibilität abhängig sind, um Wählerstimmen zu erlangen?
Und so kommt es, dass die Herren Arnault und sein Schwiegersohn Xavier Niel, neben Patrick Drahi und sechs weiteren Personen, die sich alle kennen, miteinander verkehren und sich wertschätzen – Absolventen der Ecole Polytechnique und der Ecole Normale, Enarchen und Politiker absorbieren, um ihren Zugang zum Staatsapparat aufrechtzuerhalten – miteinander schlafen und sich miteinander fortpflanzen.
Wir freuen uns im Übrigen, Ihnen anzukündigen zu dürfen, dass Elisa Niel Arnault und Zoe Bolloré Bouygues, angemessen privat erzogen, ihren siebten Geburtstag gefeiert haben und sich als die reichsten Frauen des Kontinents behaupten können. Besitzen sie tatsächlich alleine 90% der französischen Printmedien und 45% der audiovisuellen Medien, was die Einschaltquoten und Verbreitung anbelangen?
Denken Sie über diese Zahlen nach und die Macht, die sich daraus erschließt.
Setzen Sie sich mit ihnen auseinander und stellen Sie sich die Frage bezüglich der Leichtigkeit mit der sie in der Lage sein würden, im richtigen Moment, an der Seite von Arnaud Lagardère und von Vincent Bolloré – die von ihrem Herzensfreund Nicolas Sarkozy eingeladen worden sind, alles darauf ausgerichtet, die Wahl seines Erzfeindes zu verhindern und die ihm garantierte Straflosigkeit zu bewahren – den Aufstieg eines Enarchen und Finanzinspektors, eines Pantouflards, der dreimal hintereinander bei staatlichen Aufnahmeprüfungen gescheitert war, an die Spitze des Staates zu befördern.
Denken Sie über sie nach, bevor Sie sich entscheiden, ob Sie lieber für die Republik oder für diese Wesen Minister sein wollen. Denn diese Entscheidung wird Ihnen schon bald aufgezwungen werden. Und Sie werden zwischen dem Dienst am Staat und dem Schicksal derer wählen müssen, die mit schriller und monotoner Musik in die Medien katapultiert wurden. Als Mozart der Finanzwelt, grossartige Pianisten und Philosophen usw. beschrieben, um einen fulminanten Aufstieg zu legitimieren, der im Gegenzug sofort beglichen wird.
Nicht nur durch reine Korruptionsgeschäfte – denken wir hierbei an die Abtretung der Firmenanteile von Lagardère, ehemaligem Klienten von Herrn Macron bei Rotschild, an die EADS, die vom damaligen stellvertretenden Generalsekretär des Elysée-Palastes unter Missachtung aller Vorschriften zur Begrenzung von Interessenkonflikten betrieben wurde –, aber auch durch eine ganze Reihe indirekterer Maßnahmen, die darauf abzielten, die Gunst der privilegierten Klassen zu erwerben. Vom CICE – der von den Herren Macron und Cahuzac im Rahmen der Rotonde-Gruppe ausgearbeitet wurde – bis, nach seinem Wahlsieg die Abschaffung der Vermögenssteuer (ISF), die Einführung der Flat Tax oder die Aushöhlung der Exit Tax, nachdem das Bankengesetz torpediert oder neulich eine Rentenreform angekündigt wurde, um all dies zu kompensieren und haushaltspolitischen Spielraum zu Lasten eines großen Teils der Bevölkerung zu schaffen – wobei die Gelbwesten jene Ressourcen absorbiert haben, von denen man ganz selbstverständlich annahm, sie plündern zu können, wodurch die Rentenreform um eine parametrische Dimension erweitert wurde, obwohl die Lebenserwartung der Arbeiter in einem guten Gesundheitszustand seit Jahren nicht mehr zugenommen hatte und bei dem bescheidenen Alter von 62 Jahren stehen geblieben ist.[4]
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Versuchen Sie zu erfassen, was Ihnen soeben vorgetragen wird. Der Zugang zu politischen Ämtern hat seit dem Zerfall der politischen Parteien in diesem dreifachen Satz seine ganz eigene Skandierung gefunden: Symbolische Kooptation mittels der renommierten Eliteeinrichtungen, technokratische Einflussnahme auf die Politiker und schließlich oligarchische Adoption, die den Zugang zur medialen Visibilität ermöglicht. Diese sukzessiven Filter, die wie so manche Initiationsriten funktionieren, kommen der Allgemeinheit, welche die Opferleistungen, die die politischen Anwärter in jeder Etappe ihres Aufstiegs an ihre darauffolgenden Schirmherren entrichten, finanzieren muss, teuer zu stehen. Und das wie im Fall von Herrn Macron, einen ebenso grossen Einsatz bedeutete, wie es anfangs an Kapital mangelte. Manchmal drängt sich die Versuchung der Enteignung auf, und es ist offensichtlich schwierig – von Olivennes bis zu Pigasse haben es viele versucht –, wieder davon loszukommen. Macron hat es geschafft. Man muss jedoch darauf hinweisen, dass man nicht « 3 Millionen Euro verdient », indem man ein Banker bei Rotschild wird, nachdem man den Drehtüreffekt praktiziert hat: Man monetisiert die dank des Staates aufgebauten Netzwerke auf Kosten desselben Staates, und es ist ein Wunder, das wohl nie wieder vorkommen wird, dass es so weit kommen konnte, dies als etwas Ruhmreiches darzustellen, vor der man selbst zu erblassen hätte.
Diese vielfältigen Folgekosten blieben lange Zeit für die Allgemeinheit verkraftbar, insbesondere aufgrund einer relativen Abgrenzung der Regierungsebenen, die nach und nach geschwächt wurden und ab 1983 die Tür zu einer derartigen Plünderung eröffneten, dass es für unsere « Eliten » keine anderen Optionen mehr gab, als sich vollständig zu kompromittieren, um sich ihre Zukunftsperspektiven zu konstruieren. Die Zunahme der räuberischen Machenschaften und die damit einhergehende Schwächung des Staatswesens, das mitansehen muss, wie einige von unseren hochrangigsten Beamten im fortgeschrittenen Alter, die vom Staat zur Verfügung gestellten Ressourcen dem Markt oder ausländischen Mächten anbieten – wie etwa die ehemaligen Direktoren des Finanzministeriums der APE, was man sich vor zehn Jahren überhaupt nicht vorstellen konnte –, hat nicht nur schrittweise die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen und die Effektivität unserer Verwaltungen reduziert, ein Phänomen, das den dominierenden Klassen, aus denen unsere Führungskräfte hervorgehen, jedoch weitgehend keine besonderen Schwierigkeiten bereiten. Diese profitieren von den schädlichen Auswirkungen ihrer eigenen Politik, wie zum Beispiel der wahnwitzigen räumlichen Segregation in Paris, die mit der Zunahme der Geldmenge und der Immobilienspekulation in Verbindung steht und es ihnen dadurch ermöglicht, ihr « Entre-soi » zu bewahren – aber sie haben auch den Steuerdruck auf die Mittelschicht verstärkt und den Lebensstandard der untersten Einkommensschichten reduziert, somit eine Zunahme an Spannungen herbeigeführt, die nicht etwa ihre Interessen, sondern eher ihre Integrität bedrohen.
Dies wird von verhängnisvolleren Phänomenen begleitet, die ihre Erben betreffen. Und so kommt es, dass Sie sich nicht nur in einer nach Luft ringenden Gesellschaft befinden, in der es an Begegnungen und den Möglichkeiten sich in Liebe zu begegnen mangelt, mit verkrüppelter Natur, aber auch in Saclay zu studieren, statt wie bisher im Herzen eines Quartier Latin, das damals noch lebendig war, erfüllt von Kreativität und Lebhaftigkeit, und nicht von Wohlhabenden aufgebläht, die sich meistens dazu entschließen, nicht einmal mehr selbst dort zu wohnen. Und vor allem deswegen kommt es dazu, dass Sie in Zukunft immer mehr Schwierigkeiten antreffen werden, einem verstümmelten Staat dienlich zu sein, da die damals glorreichen Ämter, die Ihnen versprochen wurden, – nehmen wir noch einmal das Beispiel von Jean Louis Beffa, dem im Alter von 27 Jahren die Leitung des Versorgungssektors angeboten wurde, der sich mit knapp dreissig Jahren den Luxus erlaubte, die Leitung von Total zurückzuweisen –, schwieriger zu finden sein werden.
Ab dem Zeitpunkt, an dem durch das Zusammenwirken dieser Faktoren die Verheißung eines allgemeinen Zusammenbruchs besteht, der durch die erschreckende Mediokrität unserer politischen Eliten nicht kompensiert wird, ist es an der Zeit, sich selbst mit einzubringen. Niemand ist in einem Kataklysmus der Mediokrität zu entschuldigen, der heute ebenso die Regierungszentrale wie auch seine angebliche Opposition betrifft, die sich heute als absolut unfähig erweist, eine Regierungsalternative zur bestehenden Staatsmacht vorzuschlagen.
Da stehen wir also, zivilisatorisch zusammengebrochen, gezwungen, die Debatten zwischen Marlène Schiappa und diesem oder jenem « Oppositions-Leader » zu erdulden, Fußballspiele und Waffelverkostungen in Szene setzend, um in Morgensendungen den Fragen auszuweichen, zu denen sie sich doch soeben selbst geäußert haben.
Wir müssen verstehen, dass unter diesen Umständen eine Bewegung – die der Gelbwesten – entstanden ist, die darauf ausrichtet, diesem Land seine Souveränität zurückzugeben und dieser allgemeinen Plage ein Ende zu setzen. Und lachen wir insgeheim darüber, dass sie aus einer Besteuerung – der Treibstoffsteuer – hervorgegangen ist, von der die Macronleaks enthüllten, dass sie nicht nur auf einer Tischkante entworfen wurden, eine Offenbarung der unreifen Unbeholfenheit der « Götter », die dazu berufen sind, uns zu regieren, um damit das Loch in den staatlichen Kassen zu finanzieren, dass durch den CICE entstanden war. Eine Maßnahme, von der wir noch einmal wiederholen möchten, dass sie 80 Milliarden Euro gekostet und nur zwischen null und 200.000 Arbeitsplätze geschaffen hat. Und das im selben Zeitraum, in dem laut INSERM jedes Jahr 15.000 Franzosen an den Folgen der Arbeitslosigkeit zugrunde gehen.
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Sie haben, wie ich sehen kann, meine Äusserungen verstanden. Unter dem Deckmantel der Eintrittsprüfungen, ist die École Polytechnique, der « Traum aller Mütter », wie Flaubert schrieb, zum Albtraum ihrer Kinder geworden, indem sie Mitglieder einer neuen Aristokratie kooptiert, die ad vitam mit Lasten behaftet werden, die ebenso illegitim wie gefährlich für die Gesellschaft sind und an ihre Kinder weitergegeben werden. Sie sind nicht die Elite der Nation. Sie sind höchst Privilegierte und haben die Möglichkeit, der Gesellschaft einen Teil dessen zurückzugeben, was sie Ihnen gegeben hat. Sie sind mit der Fähigkeit zur Abstraktion ausgestattet, die Ihnen Ihre gesellschaftliche Stellung verliehen hat, und dennoch sind Sie, im wahrsten Sinne des Wortes von dem politischen Risiko eines Aufstands umzingelt, der Ihre Interessen bedrohen könnten.
Denken Sie noch einmal darüber nach, Sie, die Sie schließlich, im Gegensatz zu so manchen Erben, versucht haben, ihre Werte und ihre Zugehörigkeit zu einem System zu demonstrieren, das so manche sich bemühen, auszuplündern. Einige Wochen, nachdem sich ein Student wegen seiner prekären Lebenssituation durch Selbstverbrennung das Leben nehmen wollte, wurde eine mit Klebeband befestigte Banane von einem französischen Galeristen auf der Basler Messe für 120.000 Dollar verkauft – woraufhin ein weiterer Performer zum Verschlingen herbeieilte.
Ist dies die Welt, in der Sie sich entfalten möchten? Oder wäre es nicht an der Zeit, sich zu erheben?
Sie haben die Aufgabe, diese Welt, die dem Untergang entgegensteuert, zu verbessern. Ihr zu helfen, sich wieder aufzurichten, bevor sie von einer weiteren Krise endgültig dahingerafft wird, und den Mechanismen ein Ende zu setzen, die sich von den sterblichen Überresten des Staates ernähren. In Frankreich versagt das Krankenhaus bei der Pflege, die Schule bei der Ausbildung, und nur ein bourgeoises Verhalten, das Sie wie die erste Dame in das amerikanische Krankenhaus und nach Franklin flüchten liesse, würde Sie davor retten können. Ihre fachspezifischen Kompetenzen geben Ihnen die Möglichkeit, unserem Volk einen Teil seiner Souveränität zurückzugeben, insbesondere in einem digitalen Raum, von dem wir uns kolonisiert wiederfinden.
Morgen werden wir Ingenieure und wissenschaftliche Führungskräfte benötigen, die sich erheben würden, um unsere Interessen zu verteidigen, und übermorgen, um uns bei der Strukturierung der Gesellschaft zu unterstützen, die wir zu rekonstruieren versuchen werden.
Sie können unser Treibstoff sein, oder die Leibeigenen neuer, verdorbener Mächte. Denn sobald Ihnen diese Rolle zurückgegeben wird, stellt sich die Frage nach der Meritokratie, einer irrelevanten individualisierenden Wortschöpfung, nicht mehr: Wer ist am hilfreichsten und wie kann man ein ausreichendes Sammelbecken schaffen, damit ein möglichst großer Teil dieser Bevölkerung sich nützlich machen kann, wird die einzige Frage sein, die bestehen bleibt, die unsere Perspektiven verändern und uns zu einer Neugestaltung anregen wird, die diesem Land die hierarchischen Rollenverteilungen zurückzugeben wird, die es verloren hat.
Ich wiederhole mich. Wir stehen am Rande einer Revolution. Und ich kann nur eines tun: Sie dazu ermutigen, sich in ihre Richtung zubewegen. Als Bürger sind Sie dazu verpflichtet. Die fachspezifischen Korporationen, welchen einige unter Ihnen ehrgeizig beizutreten beabsichtigen, sind zu gemeinschaftlichen Vorrichtungen geworden, deren einziges Ziel es ist, den Zugang zu Machtpositionen sicherzustellen, müssen ihre fundamentale Rolle wiedererlangen. Nämlich die Bedürfnisse einer Republik zu gewährleisten, von der zu viele Ecole–Polytechnique–Studenten zu den hauptsächlichen Plünderern geworden sind. Ihre ganzheitliche Neugestaltung und ihre Anpassung an die industriellen Herausforderungen unserer Zeit ist eine fundamentale Priorität, auf die Sie sich vorzubereiten haben.
Dasselbe gilt natürlich auch für die industrielle Umstrukturierung unseres Landes. An der Schwelle zu immer härteren handelspolitischen Machtkämpfen, verlangt die geopolitische Neuausrichtung unseres Produktionsapparats eine Neudefinierung der Konditionen unserer EU-Mitgliedschaft und eine Ausrichtung auf Bereiche, die inzwischen demokratisiert wieder zu unseren wichtigsten Partnern werden müssen. Uns die Instrumente unserer politischen Autonomie zurückzugeben, erfordert eine massive Neuausrichtung unserer Wirtschaftspolitik und die Freisetzung von haushalts- und währungspolitischen Handlungsspielräumen, die heute vom Privatsektor beschlagnahmt sind.
Vergessen sie nicht die folgenden Angaben: Der Sohn eines Kaders hat heute eine 12-mal höhere Chance Kader zu werden als der Sohn eines qualifizierten Arbeiters – ein Verhältnis, das seit 1985 stabil geblieben ist. 50 % der Franzosen sehen ihre Position gegenüber ihren Eltern in den letzten zehn Jahren stagnieren beziehungsweise sich verschlechtern. Die Ungleichheiten steigen seit 2005 an und haben inzwischen wieder das Niveau von 1990 erreicht. Was das erste Zehntel der Bevölkerung, das prekärste und fragilste anbelangt, so hat dieses nie wieder das Einkommensniveau von vor 2008 erreicht, das heißt, vor einer Krise, die unsere Eliten ausgelöst haben und die letztendlich ihre Interessen begünstigt haben.
Wir befinden uns im Jahr 2019. Und nachdem der Anteil der Stipendienempfänger 15% erreicht hat, sind Sie in diesem Jahr nur noch bei 11%. Ein Teil des Landes verachtet Sie deswegen. Es ist an der Zeit, dem geräuschvollen Gemurmel Aufmerksamkeit zu schenken und sich von denjenigen zu emanzipieren, die sie zum Beitritt auffordern.
Es muss eine neue Ordnungsvorstellung erschaffen werden. Eine öffentliche Sache neu erfunden werden. Sie haben das Werkzeug, um sie ins Leben zu rufen.
Ich bedanke mich bei Ihnen ganz herzlich, mich eingeladen zu haben.
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Annexes
- Les concours sont-ils neutres ? Concurrence et parrainage dans l’accès à l’École polytechnique, Pierre François et Nicolas Berkouk Dans Sociologie 2018/2 (Vol. 9), pages 169 à 196
- Albouy V. & Wanecq T. (2003), « Les inégalités sociales d’accès aux grandes écoles », Économie et statistique, no 361, pp. 27-52.
- Attali B. (2015), L’X dans une nouvelle dimension, Paris, La Documentation française.
- Belhoste B. (2002), « Anatomie d’un concours. L’organisation de l’examen d’admission à l’École polytechnique de la Révolution à nos jours », Histoire de l’éducation, no 94, pp. 141-175.
- Belhoste, (1994), « De l’Ecole des ponts et chaussées à l’Ecole centrale des travaux publics », Bulletin de la Sabix [En ligne], 11 | 1994 URL : http://journals.openedition.org/sabix/617
- Blanchard M., Orange S. & Pierrel A. (2014), « La production d’une noblesse scientifique », Paris, Département de sciences sociales de l’École normale supérieure de Paris.
- Bodin Y. (2005), « Rapport d’information fait au nom de la commission des affaires culturelles (1) par la mission d’information (2) portant sur la diversité sociale et l’égalité des chances dans la composition des classes préparatoires aux grandes écoles », Paris, Sénat.
- Brown P., Duru-Bellat M. & van Zanten A. (2010), « La méritocratie scolaire. Un modèle de justice à l’épreuve du marché », Sociologie, vol. 1, no 1, pp. 161-175.
- CNESCO (2016), « Comment l’école amplifie-t-elle les inégalités sociales et migratoires », Paris, CNESCO.
- Cornut-Gentille F. (2014), « Rapport d’information relatif à l’École polytechnique », Paris, Assemblée nationale.
- Euriat M. & Thélot C. (1995), « Le recrutement social de l’élite scolaire en France. Évolution des inégalités de 1950 à 1990 », Revue française de sociologie, vol. 36, no 3, pp. 403-438.
- Ferrand M., Imbert F. & Marry C. (1999), L’Excellence scolaire, une affaire de famille, Paris, L’Harmattan.
- François P. (2010), « Les guépards du capitalisme français ? Structure de l’élite patronale et modes d’accès aux positions dominantes », Les élites économiques en France, Journées d’études conjointes DRM-IDRISSO, Paris, Université Paris Dauphine, 4-5 novembre.
- van Zanten A. (2016), « La fabrication familiale et scolaire des élites et les voies de la mobilité ascendante en France », L’Année sociologique, vol. 66, no 1, pp. 81-114
[1] « Lanceurs de balles de défences », Waffen zum Abschiessen von Hartgummigeschossen. (A. d. Ü.)
[2] Der Berufswechsel zwischen Politik und Wirtschaft wird von kritischen Stimmen, welche die Verflechtung von Politik und Wirtschaft betrachten, als Drehtür-Effekt (Revolving Door) bezeichnet. (A. d. Ü.)
[3] Gelbwesten drangen bei einer Demonstration zu seinem Schrecken mit einem Gabelstapler in das Ministerium ein. (A. d. Ü.)
[4] https://www.telos-eu.com/fr/societe/linsondable-pessimisme-francais.htmld